Echo am Samstag, den 24.10.2020 von Gerhard Grünewald

Erst Risikokreis, dann dunkelrote Zone

Odenwald gerät an einem Tag zweimal in neues Infektions-Stadium und damit auf die Stufe stärkster Betroffenheit

ODENWALDKREIS . Das neuartige Corona-Virus entwickelt nun auch im Odenwaldkreis eine Ausbreitungs-Dynamik, die an keinem Belastungs-Schwellenwert mehr Halt macht. So hat der südöstlichste Ausläufer Hessens in der Nacht zum Freitag den höchsten Risiko-Grenzwert des Robert-Koch-Institus überschritten und wird schon zum Wochenende auch noch die oberhalb angesetzte, dringlichste Alarmstufe des Landes erreichen.

Diese Zuspitzung der Lage hat Landrat Frank Matiaske am Freitagnachmittag mit Bezug auf die zu diesem Zeitpunkt für das Kreisgesundheitsamt erkennbare weitere Häufung positiver Tests vorab publik gemacht. Den Schritt vollzog er auch vor dem Hintergrund des Bedarfs, die damit fällige Verschärfung des Verhaltens-Regelwerks um gleich zwei Stufen rechtzeitig zum Samstag zu verkünden und in Kraft zu setzen.

Die Sieben-Tage-Inzidenz für den Odenwaldkreis lag am Freitag nach dem offiziellen Stand aus der Nacht bei 54,8 Ansteckungen pro 100 000 Einwohner und damit über der 50er-Marke, ab der das RKI Städte und Landstriche zu Risikogebieten erklärt. Rund zwölf Stunden später indes hatten sich die beim Gesundheitsamt binnen Tagesfrist eingegangenen positiven Testergebnisse auf 43 summiert, sodass zu diesem Zeitpunkt auch das letzte verbliebene Limit von 75 wöchentlichen Fällen auf 100 000 Einwohner faktisch gefallen war. Der Kreis kam mit seinen eigenen Berechnungen am Abend auf genau diese Zahl.

Erreicht ist hiermit die dunkelrote Farbe der Corona-Ampel, mit der Hessen im Gegensatz zum Bundesinstitut noch einmal einen Unterschied unter den Risikogebieten macht. Dieser kommt im Vergleich zur RKI-Betrachtung insofern die stärkere Bedeutung zu, als die jeweiligen Maßnahmen von den Vorgaben und Grenzwerten des Landes abhängen. Bei der offiziellen Risikobewertung nicht berücksichtigt, für die Schärfe des Infektionsgeschehens aber ebenfalls bezeichnend, ist die Verbreitung schwerer Covid-Erkrankungen und die Betroffenheit von Menschen mit hohen Risiken für schwere oder gar tödliche Verläufe. Auch hier weisen die neuesten Erkenntnisse für den Odenwaldkreis eine zunehmende Anspannung aus:

Die Zahl der aktuell Infizierten belief sich gemäß Testergebnissen gegen Abend auf 105 Personen, nachdem den 43 Neubefunden neun Genesungsmeldungen gegenübergestellt waren. Dem Bedarf nach stationärer Behandlung zufolge sind von den Angesteckten sieben schwer erkrankt. Einer davon wird in einem Krankenhaus außerhalb des Kreises behandelt, die sechs anderen finden am Gesundheitszentrum Odenwald in Erbach Hilfe. Hier gibt es zudem vier Verdachtspatienten, deren Testergebnisse noch ausstehen.

Das Ausbruchsgeschehen insgesamt zeigt nach Angaben des Gesundheitsamts inzwischen wieder ein diffuses Bild. Nach den erheblichen Steigerungen lassen sich die Ansteckungen also keinen einzelnen Schwerpunkten mehr zuordnen – oder anders: das Hochrisiko überzieht das gesamte Kreisgebiet. „Das erschwert die Kontaktnachverfolgung zusätzlich“, fügt die Behörde hinzu.

In seiner Zusammenfassung des Geschehens sprach der Pressesprecher der Kreisverwaltung, Stefan Toepfer, am Freitagmittag von einer „dramatischen Entwicklung“, mit der sich der Odenwaldkreis in jenem starken Anstieg der Fallzahlen bewege, der zurzeit in ganz Hessen und auch bundesweit zu beobachten sei. „Die Entwicklung der Pandemie ist auch bei uns wieder sehr dynamisch geworden“, erklärte Landrat Frank Matiaske in einem aktuell formulierten Appell an die Bevölkerung. „Unser Gesundheitsamt arbeitet nahezu rund um die Uhr, um Infizierte und Kontaktpersonen zu ermitteln und so Infektionsketten zu unterbrechen.“

Mit seinem Aufruf forderte Matiaske alle Bürgerinnen und Bürger nachdrücklich auf, die Schutzmaßnahmen zu befolgen. „Jede und jeder von uns hat Einfluss darauf, wie sich die Zahlen weiter entwickeln werden.“ Welche verbindlichen Vorschriften dabei gelten, legt die neueste Allgemeinverfügung fest, mit der Matiaske den vom Land vorgegebenen Beschränkungen kreisbezogen Gesetzeskraft gibt. Die betroffenen Bereiche und Maßnahmen:

Alten- und Pflegeheime: Bewohner dürfen maximal drei Mal in der Woche für jeweils eine Stunde von höchstens zwei Personen pro Besuch besucht werden (für Heime hat das Land Hessen überdies ein Schutzkonzept und Handlungsempfehlungen beschlossen, die auf der Homepage des Sozialministeriums eingestellt sind).

Zusammenkünfte und Veranstaltungen: Ob Sport, Kultur oder andere gesellschaftliche Ereignisse – es dürfen nicht mehr als 100 Personen teilnehmen, für die auf jeden Fall die Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln sichergestellt sein muss.

Private Feiern: An Feiern im öffentlichen Raum dürfen nicht mehr als zehn Personen teilnehmen. Für Feste in der Privatwohnung wird die Einhaltung einer Höchstteilnehmerzahl von zehn dringend empfohlen.

Allgemeine Kontakte: Im öffentlichen Raum dürfen sich nur noch maximal fünf Personen beziehungsweise über dieses Maß hinaus Angehörige von zwei Hausständen treffen.

Mund-Nasen-Schutz: Bei öffentlichen Veranstaltungen, in öffentlichen Einrichtungen, bei Trauerfeiern, in Kirchen und vergleichbaren Räumlichkeiten muss eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden – auch am Sitzplatz. Eine Maskenpflicht gilt ebenso in ambulanten Pflegediensten und in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Dringend empfohlen wird das Tragen einer Maske auf besonders belebten Straßen und Plätzen. Auf eine Definition der im Odenwaldkreis in Frage kommenden Stadtlagen verzichtet der Landrat einstweilen.

Sperrstunde: Für gastronomische Einrichtungen und Vergnügungsstätten wird eine Sperrstunde ab 23 Uhr verkündet. Hier ist die Rechtslage allerdings noch unklar; in Hessen sind mehrere Gerichtsverfahren anhängig, und es wurde auch schon zu Gunsten klagender Gastronomen entschieden beziehungsweise die höhere Instanz angerufen. Der Odenwaldkreis wartet infolgedessen die letztinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Kassel ab und passt die Allgemeinverfügung bei Bedarf an.

DIE CORONA-LAGE IM UMKREIS

Mit Überschreitung der Inzidenzgrenze von 50 positiven Tests pro 100 000 Einwohner und Woche befand sich der Odenwaldkreis am Freitag um 0 Uhr in fast vollständiger Gesellschaft seiner Nachbarschaft. Der Kreis Bergstraße mit 79,9 und der Landkreis Darmstadt-Dieburg mit 80,2 rissen sogar schon zu diesem Zeitpunkt die großzügiger gesetzte äußerste Landeshürde von 75. Bei den außerhessischen Nachbarn bewegte sich die Ausbreitung der Infektion in einem ähnlichen Bereich wie im Landstrich zwischen Oberzent, Höchst und Reichelsheim: im Landkreis Miltenberg/Bayern bei 59,0, im Neckar-Odenwald-Kreis/Baden Württemberg bei 69,6. Allein der ebenfalls baden-württembergische Rhein-Neckar-Kreis lag mit 48,0 knapp unter der Risiko-Grenze. Wobei sich analog zum Odenwaldkreis durchweg eine weitere Zunahme abzeichnete.
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